AllgemeinesRechtlichesTechnologie

Wie gefährlich ist der Wieland-Stecker?

Gefällt dir, was du liest? Dann teile das Vergnügen!

AM ZIEL VORBEIGESCHOSSEN

Bei der Diskussion um das Balkonkraftwerk fällt immer wieder mal der Begriff "Wieland-Stecker". Was es damit auf sich hat und warum dieser Stecker nicht zwingend erforderlich ist, kannst du in unserem umfangreichen Blog-Artikel zum Thema Anschluss nachlesen. Hier soll es allerdings um die Richtigstellung eines weit verbreiteten Irrtums gehen, nämlich, dass dieser Wieland-Stecker die sicherere Anschlusslösung für das Balkonkraftwerk ist.

Wieland-Stecker RST20i3

Zunächst einmal wirkt diese Annahme scheinbar selbsterklärend. Während der Schutzkontakt-Stecker etwa nur auf 16 Ampere Stromstärke ausgelegt ist, sind es beim Wieland RST20i3-Stecker (wie man der Produktbezeichnung entnehmen kann) satte 20 Ampere. Zudem ist er verpolungs- und abzugssicher und hat berührungssichere Kontakte. Das klingt alles toll - zumindest bis man verstanden hat, dass nichts davon die wirklichen Probleme löst, die ein Balkonkraftwerk verursachen kann.

Ein Balkonkraftwerk leistet maximal 600W was in einem 230V-Netz gerade einmal 2,6 Ampere entspricht. Die Ströme, für welche der Wieland-Stecker eigentlich ausgelegt ist, liegen also etwa achtmal so hoch. Die im Balkonkraftwerk verwendeten Wechselrichter kommen zudem mit Verpolung spielend klar, ohne den geringsten Schaden zu nehmen oder zu verursachen. Da sie zudem über die integrierte Abschaltvorrichtung des "NA-Schutzes" innerhalb von 0,2 Sekunden ausschalten, ist auch der Abzugs- und Berührungsschutz im Normalfall überflüssig. Durch die bereits als Entwurf veröffentlichte Produktnorm für Steckerkraftwerke wird diese Regel womöglich sogar noch verschärft, sodass auch die Steckerstifte danach zu prüfen sind, dass sie auch wirklich nach 0,2 Sekunden eine ausreichend geringe Spannung haben. Dadurch wird ein zusätzlicher Schutz unnötig. Und das ist auch gut so, denn auch wenn die Steckerkontakte beim Wieland-Stecker in einer Kunststoffhülse liegen, so sind sie von neugierigen Kindern dennoch mit ausreichend schmalen Metallgegenständen erreichbar.

Wieland Verteilerblock

Ein weiteres oft vorgebrachtes Argument ist, dass der Schutzkontaktstecker dazu verführt, mehrere Geräte mit insgesamt zu hoher Leistung anzuschließen oder eine Mehrfachsteckerleiste zu verwenden. Hier sprechen Bilder aber mehr als tausend Worte. Voilà, der Wieland-Verteilerblock (erhältlich im Wieland-Webshop und für unter 10€ bei ausgewählten Händlern):

Aber leider ist es nicht nur so, dass der Wieland-Stecker die wirklichen letzten verbleibenden potenziellen Probleme des Balkonkraftwerks - wie eine eventuelle Verzögerung beim Fehlerstromschutz oder die nicht abgeschlossene Normierung für UV-beständige Außenleitungen - nicht löst, er fügt gar noch weitere hinzu.

So ist es etwa höchst problematisch, dass die bei vielen Wechselrichter-Modellen verwendeten Betteri-Stecker für den Wechselstrom-Anschluss einem Wieland-Stecker nicht nur recht ähnlich sehen sondern beide Steckertypen auch recht gut aufeinander passen. Uns sind mehrere Fälle bekannt, bei denen unbedarfte Nutzer auf diese Weise versuchten, ihre beiden etwas von einander entfernt stehenden 300er-Balkonkraftwerke zu koppeln. Wie im Bild zu sehen, geht das rein mechanisch betrachtet ganz gut:

Wieland-Stecker und -Buchse an Betteri-Buchse und Stecker

Da jedoch die Pole bei beiden Steckerarten anders gelegt sind, kann es zu Fehlerströmen kommen. Gerade wenn kein oder kein geeigneter FI-Schutzschalter verbaut ist, entsteht hier potenziell Lebensgefahr, wie uns Anbieter versichern.

Ein weiteres Risiko stellt der Wieland-Stecker deshalb dar, weil für seine Verwendung die Steckdose ausgetauscht bzw. eine neue Steckdose angebracht werden muss. So oft die Regularien darauf hinweisen, dass sämtliche Arbeiten an elektrischen Anlagen durch Fachpersonal durchgeführt werden müssen, so klar ist auch dem knöchernsten Normenfetischisten, dass auch weiterhin die meisten Lampen durch Laien an die offenen Leitungen an der Decke angeschlossen werden. Da es aktuell und auch perspektivisch quasi unmöglich ist, zeitnah einen Elektriker für den Austausch einer Steckdose ins Haus zu bekommen - von den Kosten mal ganz abgesehen -, werden auch da viele selbst Hand anlegen. Das mag ebenso wie bei der Deckenleuchte in den meisten Fällen gut gehen, aber das Gesamtrisiko steigt dennoch.

Messgeräte fürs Balkonkraftwerk, keines davon für Wieland-Stecker geeignet

Auch dass es keine Messgeräte als Zwischenstecker für den Wieland-Stecker gibt, erhöht die Gefahr eines Schadens an Sachen und Menschen. Einerseits garantiert nur eine regelmäßige Überprüfung der Kraftwerksleistung, dass etwa dauerhafte Verschmutzungen, welche zu Hot-Spots führen können, oder auch Fehlfunktionen schnell erkannt werden. Andererseits verführt es, wie der Einbau der Steckdose selbst, dazu, an sich wunderbar geeignete Messgeräte wie einen Shelly 1pm oder einen Sonoff POW r2 selbst anzuschließen und dabei nicht nur ggf. die Gewährleistung auf das Kraftwerk zu riskieren sondern sich auch hier dem Risiko eines Stromschlags auszusetzen.

Nicht zuletzt ist der nur durch ein Werkzeug lösbare Abzugsschutz durchaus ein Risiko an sich. Wenn etwa bei einem Schaden am Balkonkraftwerk, bei auftretenden Kriechströmen oder gar einem Brand der Netzstecker schnell gezogen werden muss, dann ist ggf. nicht sofort ein geeignetes Werkzeug zur Hand. Die hierdurch entstehende Verzögerung kann lebensgefährdend sein.

Das größte Problem besteht aber gerade in der vermeintlichen Sicherheit, welche manche dem Wieland-Stecker andichten. In Unkenntnis der tatsächlichen Risiken verlassen sich Nutzer auf das Sicherheitsversprechen dieses Steckers und lassen dabei andere Risiken, wie die mögliche Leitungsüberlastung bei Überschreitung der Leistungsgrenzen oder einen fehlenden FI-Schutzschalter, außer Acht.

Besser und sicherer als alle Verweise auf den vermeintlichen Geist der bestehenden Normen ist es daher, den Schutzkontaktstecker sowohl in den Normen als auch in der offiziellen Haltung der Behörden endlich mit klaren Regeln freizugeben. Im Rahmen einer bereits als Entwurf vorliegenden und noch bis Februar zur Kommentierung freigegebenen Produktnorm für das Balkonkraftwerk wird genau dies versucht und auch der VDE-Vorstand sowie die Bundesnetzagentur setzen sich für eine Duldung ein. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis die Realität endlich auch in die Normung Einzug hält.

 

Bleib zum aktuellen Stand der Normung auf dem Laufenden und abonniere unseren Newsletter!


Gefällt dir, was du liest? Dann teile das Vergnügen!

Schreibe einen Kommentar