Wow. Einfach nur Wow.
Wir alle sind nun Zeugen einer Zeitenwende. Vergangene Woche zahlte sich die enorme Arbeit, die wir gemeinsam mit vielen anderen Aktivisten seit Jahren ins Balkonkraftwerk stecken, voll aus:
Erstmals in der Geschichte wurde per Gesetz festgelegt, dass grundsätzlich ALLE das Recht haben, ihre eigene Sonnenenergie zu erzeugen und für sich zu nutzen!
Und zwar unabhängig von Alter, Einkommen, Wohnsituation oder anderen Faktoren! Das Recht aufs Balkonkraftwerk gilt nach Beschluss des Bundestags vom Donnerstag nun auch für Mieter und Wohnungseigentümer!Das ist für alle Beteiligten und Betroffenenen und auch für uns selbst ein kaum zu fassender Erfolg!
Vorgeschichte
Wir selbst arbeiten seit nunmehr sechs Jahren daran, das Balkonkraftwerk bekannter, einfacher nutzbar und effizienter zu machen. Vor über zwei Jahren hatten wir begonnen, mit unserer Aktion gegen drohende Strafzahlungen gegen das Balkonkraftwerk und der Aufforderung ans Finanzministerium, die Mehrweritsteuer auf Solarprodukte zu streichen, erstmals aktiv in die Bundespolitik einzugreifen. Und schon damals konnten wir uns auf dich und unsere anderen Leser verlassen, die unsere Aktionen stets verlässlich unterstützten. Der Erfolg blieb schon damals nicht aus: Die Strafzahlungen wurden abgewendet und die Mehrwertsteuer wurde gestrichen. Diese Erfolge machten uns klar: Da geht noch mehr! Im Oktober 2022 forderten wir unsere Leser daher auf, uns ihre Forderungen und Wünsche für unverzichtbare Vereinfachungen für das Balkonkraftwerk mitzuteilen. In der Folge setzten wir uns mit voller Kraft für deren Umsetzung ein.
An der Privilegierung von Balkonkraftwerken in Miet- und Eigentumswohnungen und damit am “Recht aufs Balkonkraftwerk” arbeiteten wir dabei besonders intensiv, und das aus gutem Grund: Diese Privilegierung erhöht die Anzahl der Menschen, die das grundsätzliche Recht zur Eigenversorgung mit Solarenergie haben, mit einem Schlag um 100%. Sie erschließt zudem endlich auch die Städte für die erneuerbaren Energien. Solarmodule werden so natürlicher Teil des Stadtbilds und die Gewinnung erneuerbarer Energien auch auf individueller Ebene zum Alltagsphänomen.
Um dies zu erreichen, hatten wir gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft und Verbandswelt einen Entwurf für Gesetzesänderungen bei einer der renommiertesten juristischen Kanzleien für Energierecht in Auftrag gegeben und damit bei Abgeordneten verschiedener Fraktionen für die Privilegierung geworben. Die erste Unterstützung von politischer Ebene kam aus den Bundesländern. Die Justizministerkonferenz der Länder forderte bereits im November 2022 das Bundesministerium der Justiz dazu auf, die Privilegierung in Gesetzesform zu fassen. Aus dem Ministerium war allerdings über Monate hinweg erst einmal sehr lautes Schweigen zu diesem Thema zu hören.
die Balkonsolar-Petition
Mit der im Februar 2023 gestarteten und enorm erfolgreichen Balkonsolar-Petition erhöhten wir gemeinsam mit unseren Freunden von der heutigen AG Balkonkraftwerk insbesondere auf dieses Thema den Druck. Nachdem die Petition mit über 100.000 Unterschriften in die TOP10 aller jemals eingereichten Petitionen aufgestiegen war und unser Gründer Christian gemeinsam mit dem Hauptpetenten Andreas Schmitz a.k.a. Akkudoktor deren Anliegen im Bundestag überzeugend vorbringen konnte, ging es schnell.
Noch im Mai wurde ein Entwurf des Justizministeriums für die Privilegierung von Steckersolarkraftwerken geleaked. Danach geschah allerdings lange nichts. Erst am 18. Januar 2024 wurde das Gesetz erstmals im Bundestag beraten. Dort konnte bereits ein erstes positives Ergebnis erreicht werden: Alle Abgeordneten stimmten einer Weitergabe des Entwurfs an die zuständigen Ausschüsse des Bundestages, insbesondere den Rechtsausschuss, zu. Dessen Abgeordneten hatten nun darüber zu entscheiden, ob der Entwurf in der bisherigen Form bestehen bleibt, oder ob er angepasst werden soll. Hierzu gab es am 19. Februar auch eine Anhörung mit von den verschiedenen Fraktionen berufenen Sachverständigen. Auch Die AG hatte mit Simone Herpich vom Verein Balkon.Solar eine Vertreterin entsandt und eine umfassende Stellungnahme zum damaligen Gesetzesentwurf verfasst.
Unsere Änderungswünsche für den Gesetzesentwurf
Wir hatten in dieser Stellungnahme vorgeschlagen, dass die Privilegierung – wie von den Fachausschüssen des Bundesrates und von den meisten geladenen Experten der Anhörung vorgeschlagen – auf alle Formen der Photovoltaik ausgeweitet werden sollte. Wenn der entsprechende Platz am Balkon, der Terrasse, im Garten oder anderen Gebäudeteilen vorhanden ist, wäre so auch die fachgerechte Installation einer PV-Anlage mit mehr als 600/800 Watt an Leistung möglich gewesen.
Zudem wird darin empfohlen, vorausschauend auch Einrichtungen zur Speicherung und Weitergabe der erzeugten Energie mit in die Privilegierung aufzunehmen. Angesichts der bereits konkret beabsichtigten und von EU-Ebene eigentlich längst vorgeschriebenen Freigabe von Energiegemeinschaften und des P2P-Stromhandels ist es wenig sinnvoll, diese Möglichkeiten bei der aktuellen Gesetzesnovelle außen vor zu lassen.
Über den eigentlichen Gesetzestext hinaus wird darin insbesondere die Notwendigkeit betont, die praktische Bedeutung der Privilegierung von Balkonkraftwerken im Rahmen der Gesetzesbegründung sowie der Begleitdokumente zum Gesetz wesentlich detaillierter auszuführen. Das ist zwingend notwendig, denn es ist bereits absehbar, dass die bislang mangelhafte Klärung offener Fragen weiterhin zu unsachgemäßen Forderungen von Seiten der Vermietenden, Eigentümergemeinschaften und deren Hausverwaltungen führen wird, welche im Zweifelsfall erst vor Gericht abgewehrt werden können. Um dies zu vermeiden, forderten wir u.a. die Klarstellung,
dass die individuell empfundene Ästhetik des durch Balkonkraftwerke veränderten Fassadenbildes für sich selbst keinesfalls ausreicht, um ein ausreichendes Gegengewicht zu ihrem gesamtgesellschaftlichen Nutzen darzustellen,
dass Balkonkraftwerke zur gebräuchlichen Nutzung einer Wohnung gehören und dass die Verantwortung für die Prüfung und Instandsetzung von nicht für den üblichen Gebrauch tauglicher Elektrik, veralteten Zählerschränken und statisch nicht einwandfreier Balkonbrüstungen beim Vermieter bzw. der Eigentümergemeinschaft liegt,
dass Denkmalschutz und andere Regelungen zum Erhalt originaler Bausubstanz und Optik hinter das bereits in Gerichtsurteilen festgestellte „überragende öffentliche Interesse“ an erneuerbaren Energien zurückstehen müssen und,
dass der Erhalt von Rettungswegen problemlos durch lotrechte Montage und/oder Restflächen zur Anleiterung gewährleistet werden kann und daher nichts davon Ablehnungsgründe sein können.
Die Umsetzung – ein Teilerfolg
Leider konnten wir uns mit den Forderungen nicht vollständig durchsetzen. So wurde etwa davon abgesehen, Solarenergie allgemein zu priviligieren, aber Steckersolargeräte eben schon. Darüber hinaus einigte sich der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung darauf, dass 2027 evaluiert wird, ob die mit dem Solarpaket eingeführten Änderungen bereits ausreichen, um auch Mehrfamilienhäuser in größerem Umfang mit Solaranlagen auszustatten und, sollte das nicht der Fall sein, die Einführung einer Privilegierung der Solarvorhaben einzelner Mietender bzw. Eigentümer erneut zu prüfen.
Auch für die Privilegierung von Einrichtungen zur Speicherung und Weitergabe von Energie ließ sich keine Mehrheit finden. Dies kann allerdings dank der nun geltenden Verwendung des Begriffs „Steckersolargeräte“ in Miet- und Wohneigentumsrecht nachgeholt werden. Hierzu müsste lediglich die Definition von Steckersolargeräten im EEG aktualisiert und auf die weiteren Funktionen ausgeweitet werden. Dies wäre z.B. über das Solarpaket II noch im Laufe dieser Legislaturperiode möglich.Die Klärung der vielen Detailfragen zur tatsächlichen Bedeutung des Gesetzes für die Rechtfertigung von Forderungen von Vermietenden und Eigentümer*innengemeinschaften blieb in weiten Teilen ebenfalls aus. Allerdings schaffte der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung immerhin bei einer der Hauptfragen Klarheit:
„Eine sichtbare Installation von Steckersolargeräten ist in der Praxis der Regelfall. […] Auch bei der sichtbaren Installation von Steckersolargeräten liegt in der Regel keine grundlegende Umgestaltung im Sinne von § 20 Absatz 4 WEG vor, und zwar selbst dann nicht, wenn solche Geräte bei mehreren oder gar allen Einheiten installiert werden.„(Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/12246 vom 03.07.2024) Damit ist eine grundlegende Ablehnung von Balkonkraftwerken aus ästhetischen Gründen ausgeschlossen.
Darüber hinaus wurde klargestellt:
„Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Anspruch auf die Installation von Steckersolargeräten nicht durch überzogene Vorgaben über das „Wie“ der Installation ausgehöhlt werden darf.„
(Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/12246 vom 03.07.2024)
Ein Hiweis, der bei spätere Gerichtsentscheidungen entscheidend sein wird.
Der Beschluss
Nachdem der Rechtsausschuss am 03. Juli 2024 die entsprechende Empfehlung formuliert hatte, wurde bereits am Folgetag für 21:20 Uhr die zweite und dritte Lesung des Gesetzes sowie dessen Verabschiedung in die Tagesordnung des Bundestages aufgenommen.Um diesen Anlass gemeinsam zu begehen, trafen wir uns mit einigen handverlesenen Gästen online, um den Livestream des Bundestags zu verfolgen.
Nach der durch alle demokratischen Parteien des Bundestags (außer AFD) gemeinsam getragenen Verabschiedung des Gesetzes stießen wir natürlich auch gemeinsam auf den Erfolg an.
Und jetzt?
Mit diesem Gesetz ist die letzte und wichtigste Forderung der Balkonsolar-Petition von 2023 umgesetzt und unsere Mission erfüllt. Das bedeutet aber nicht das Ende der Bemühungen um die vollständige Etablierung von Balkonkraftwerken in Deutschland. Weitere Felder wie die Produktnorm, die Zulassung in Kleingärten, die Klärung der offenen Rechtsfragen und eine faire und nachhaltige Marktgestaltung werden uns in den nächsten Monaten und Jahren weiter beschäftigen.
Wir führen die intensive Arbeit an den Vereinfachungen für das Balkonkraftwerk und die Energiewende in Bürgerhand aus Überzeugung und gerne aus. Dennoch sind unsere Kapazitäten hierfür immer wieder schmerzhaft begrenzt, da wir keinerlei Geld dafür erhalten. Wir sind daher bei dieser Arbeit vollständig auf Unterstützung durch unsere Community angewiesen.
Du teilst unsere Überzeugung, dass alle Hürden für das Balkonkraftwerk abgebaut werden müssen? Dann trage dich jetzt für einen dauerhaften oder einmaligen freiwilligen Beitrag ein und hilf uns, dies möglich zu machen!