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Studien vs. Realität

In den Anfangsjahren waren verlässliche Zahlen rund um das Balkonkraftwerk Mangelware. Das lag einerseits an der fehlenden Möglichkeit bzw. am aufgrund der rechtlichen Graubereiche verständlicherweise fehlenden Willen zur Registrierung. Eine andere Ursache war die aus dem selben Grund verständliche Verschlossenheit der wenigen Anbieter im Markt in Hinsicht auf Verkaufszahlen. Daher waren bis in das aktuelle Jahrzehnt nur Schätzungen und Mutmaßungen möglich. Das änderte sich in den letzten Jahren, auch dank einer steigenden Anzahl von Studien. Allerdings sind klare Aussagen noch immer schwierig, denn oft haben sich Studien als ungeeignet erwiesen, die Realität abzubilden. Das gilt insbesondere für das Marktvolumen, also die Anzahl der real im Markt befindlichen Geräte, sowie für das Gesamtpotenzial, also die mögliche Maximalanzahl an Balkonkraftwerken. Hier eine Übersicht:

Marktvolumen

2021/22 sorgte das Forschungsprojekt PV Plug-In Tools der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin erstmals für etwas Licht im Dunkel der Entwicklungen rund ums Balkonkraftwerk. Aus diesem gingen nämlich u.a. zwei umfassende Studien zu Markt und Nutzung von Steckersolargeräten sowie der noch immer häufig genutzte Stecker-Solar-Simulator hervor. Unsere Leser hatten sich damals auch von Beginn an an den Erhebungen beteiligt und so zur Ermittlung verlässlicher Daten beigetragen.

In der Marktstudie wurden auf Basis von hochgerechneten Verkaufszahlen für Mitte 2021 rund 100.000 und Ende 2021 bis zu 200.000 Geräte am Netz ermittelt. Aufgrund unserer Kontakte zu den marktführenden Unternehmen konnten wir jedoch damals bereits klarstellen, dass dies Zahlen zu niedrig angesetzt waren. 

Eine Ableitung des Marktvolumens von der Zahl der offiziell angemeldeten Geräten her ist noch schwieriger. Die expizite Anmeldung von Steckersolargeräten im Marktstammdatenregister etwa war erst seit Herbst 2020 möglich. Davor konnten die Geräte nur als PV-Anlagen mit geringer Leistung angemeldet werden. Die HTW ermittelte in der Marktstudie eine Nicht-Anmelde-Quote (MaStR) von 89% in 2020 und 86% in 2021 In der Nutzerstudie hingegen ist eine gesamte Nicht-Anmelde-Quote (MaStR) von nur 58% genannt. Eine Besprechung dieser krassen Differenz blieb bisher aus. Nach unserer Einschätzung sind aktuell rund 75% der Geräte nicht angemeldet (1,5 von insgesamt 2 Millionen). Durch die weitere Vereinfachung des Anmeldeprozesses im April wird sich dieser Anteil voraussichtlich weiter verringern.

Auf eines können sich jedoch die meisten Studien und Experten einigen: Das Wachstum war in den letzten Jahren exponenziell. Seit 2023 scheint sich jedoch eine Plateau-Phase anzkündigen. Der Wettbewerb ist stärker gewachsen als die Nachfrage und durch den Preisverfall sinken die Margen. Auch ist unklar, wie lange die Mehrwertsteuerbefreiung für Solartechnik noch gilt. Die Auswirkungen von Gesetzesvereinfachungen bei klaren Leistungsgrenzen auf der einen und der erhöhten Sicherheitsanforderungen durch die kommende Produktnorm auf der anderen Seite machen eine zeitnahe Marktbereinigung bei Produktgestaltung und Anbietervielfalt wahrscheinlich. Das ist allerdings noch nicht in Studien erfasst sondern lediglich ein eine Einschätzung von Marktkennern. 

Potenzial

Auch die Errechnung von möglichen Gesamtmengen an Balkonkraftwerken ist schwierig. Eine Erhebung vom Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der E.ON Ökostromtochter eprimo kam im Oktober 2022 zu dem Schluss, dass rund 12 Millionen Balkonkraftwerke in Deutschland möglich seien. Genauer: 60% der insgesamt 40 Millionen Haushalte verfügen dem Bericht zufolge über einen Sonnenbalkon und über die Hälfte davon kann sich vorstellen, ein Balkonkraftwerk zu installieren. Allerdings blieben da die enormen Mengen an Steckerkraftwerken auf Carports, auf Dächern, in Gärten, auf Terrassen und an Fassaden außen vor. Diese machen Laut HTW-Studie 2/3 aller Installationen aus!

In einer aktuellen Umfrage von YouGov im Auftrag von Check24 hingegen wurde ermittelt, dass 6% aller Balkone bereits mit einem Steckersolargerät ausgestattet sind. Das kann kaum sein, denn wenn die in der o.g. Studie ermittelten 60%, also 24 Millionen Sonnenbalkone, stimmen, dann wären das alleine 1,44 Millionen. Stimmt es dann zusätzlich, dass, wie in der HTW-Studie ermittelt, 2/3 aller Steckerkraftwerke nicht am Balkon hängen, müssten bereits über 4 Millionen Geräte am Netz sein. Das deckt sich aber nicht mit den Verkaufszahlen.

Die Check24-Umfrage stellt auch fest, dass 57% aller Befragten mit Balkon sich auch überhaupt kein Kraftwerk anschaffen wollen würden. Diese Zahl hat für eine reale Potenzialabschätzung jedoch kaum Bedeutung. So sind etwa noch immer viele Menschen nicht mit dem Thema in Vertraut und haben teilweise Berührungsängste. Dies legt sich der Erfahrung nach aber mit zunehmender Präsenz von Balkonkraftwerken in der Nachbarschaft und im Bekanntenkreis. Zugleich jedoch wird aus der Erfahrung mit realen Umsetzungen auch deutlich, dass ein Teil der Balkone schlicht nicht für die Anbrigung geeignet ist – etwa solche mit fest installierten Blumenkästen oder anderen Anbauten, welche die Module verschatten würden oder die oberhalb der Brüstung geschlossenen Balkone oder Balkone mit erhöhten Verkehrssicherungsanforderungen, an denen etwa auch keine eigenen Blumenkästen angebracht werden dürfen u.a. 

Nach unserer Einschätzung liegt das Gesamtpotenzial zwischen 12 und 20 Millionen Geräten, wovon etwa die Hälfte an Miet- und Eigentumswohnungen und die andere Hälfte an Einfamilienhäusern betrieben werden können. Gerade in den deutschlandweit fast 20 Millionen Mietwohnungen liegt dabei das größte Potenzial – auch da hier aktuell die größten Hürden liegen und mit den kommenden Gesetzesänderungen zeitnah neue Möglichkeiten erwartet werden, diese zu überwinden. 

Technologiedurchbrüche und Preissenkungen bei Solarmodulen und Stromspeichern machen zudem künftig immer größere Überschüsse ökonomisch nutzbar. Ob es dann eher 12 oder eher 20 Millionen Geräte werden, hängt daher auch davon ab, wie viel Energie in Zukunft wert sein wird und welche Möglichkeiten es für das Balkonkraftwerk geben wird, die Überschüsse zu nutzen. Wird man sie selbst an der Börse oder an den verschatteten Nachbarn verkaufen? Wird man sie gemeinsam mit Millionen anderen Nutzer in einem virtuellen Kraftwerk zur Netzstützung zusammenführen? Wird man sie in einen Quartiersspeicher laden, aus dem sich alle bei Bedarf bedienen können? Oder wird man in Zukunft damit heizen und kochen und sich noch unabhängiger vom Netz machen können?

Machen wir mal eine Experten-Studie daraus – und der Experte bist du! 
Schreib uns, wie sich die Erzeugung und Nutzung eigener Energie deiner Meinung nach entwickeln wird und/oder sollte und welche Rolle das Balkonkraftwerk dabei spielt! Die tollsten, spannendsten und kreativsten Antworten veröffentlichen wir hier im Newsletter. Und wer weiß, vielleicht inspiriert deine Idee ja genau den Wandel, der sie am Ende verwirklicht…

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