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Gelten fürs Balkonkraftwerk nun 600 Watt oder 800 Watt?

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Wir hatten im April vom Stand der Steckersolar-Produktnorm des VDE berichtet. Wie dort angekündigt, wurde in 2024 die neue Entwurffassung der Norm im Entwurfsportal des VDE veröffentlicht. Um Zugriff darauf zu bekommen, kann man sich dort kostenlos registrieren. Damit beginnt nun eine achtwöchige Einspruchsphase, bei der sich jeder beteligen kann, der inhaltliche Änderungen an der Norm wünscht. Wir sind gemeinsam mit den anderen Mitwirkenden der AG Balkonkraftwerk dabei, sämtliche Verbesserungsvorschläge zusammenzutragen. Insbesondere die neu eingeführte Leistungsgrenze von 800 Watt und die damit verbundene Begrenzung der Modulleistung wird dabei ein Thema sein. Die genauen Änderungsvorschläge werden wir zeitnah im Newsletter besprechen und um deine Mithilfe bei der Optimierung der Norm bitten.

Allerdings erreichten uns bereits im Vorfeld immer wieder Fragen aus unserer Community. Insbesondere ging es um die Frage, welche Leistungsgrenze denn aktuell gilt und ob man z.B. jetzt schon bedenkenlos 800 Watt Wechselrichter anschließen oder auf 600 Watt abgeregelte Wechselrichter nun auf 800 Watt hochregeln kann und ob man dies melden muss. Wir fassen im Folgenden die grundlegenden Informationen zum Thema zusammen (auch, damit du den Artikel an Menschen weitersenden kannst, die noch nicht so im Thema stecken) und geben zum Ende hin eine klare Antwort auf diese Frage. (Wer schummeln will: Sie ist weiter unten in Fettschrift zu finden.)

    1. Die Begrenzung der Leistung eines Balkonkraftwerks hat handfeste Sicherheitsgründe.
      Unsere Leitungen im Haushalt werden durch die Sicherungen vor zu großer Belastung geschützt. Zu stark belastete Leitungen werden heiß, was dem Kabel schadet und sogar zum Brand führen kann. Zieht man zu viel Strom, schaltet die Sicherung darum den jeweiligen Stromkreis ab. Je nach Überlast passiert das sofort oder nach einer kleinen Weile. Dabei kann sie natürlich nur den Strom messen, der durch sie durch fließt. Speist man nun irgendwo innerhalb des Haushalts Strom ein - etwa mit einem Balkonkraftwerk - und dieser wird im Haushalt direkt verbraucht, dann bekommt die Sicherung das nicht mit. Daher kann man theoretisch am selben Stromkreis, in den man einspeist, mehr Strom ziehen, als die Sicherung normalerweise zulassen würde - den von der Sicherung plus den von der Einspeisung. Das ist bis zu einem gewissen Maß kein Problem, da die Leitungen eine Toleranz haben, die über dem Wert der Sicherung liegt. Wie hoch diese Toleranz ist, hängt von ihrem Alter und der Qualität des Leitungsmaterials, von der fachgemäßen Installation und auch von der Umgebung ab. Läuft die Leitung etwa durch eine Dämmung, dann kann die Temperatur nicht weg sondern staut sich, was zu schnellerer und stärkerer Erwärmung führt. Da man beim Balkonkraftwerk keinen Elektriker holen will, der erstmal prüft, wie viel nun genau eingespeist werden darf, um die Toleranz auch im schlechtesten Fall nicht zu überschreiten, wurde stattdessen ein Grenzwert festgelegt: 600 Watt (eigentlich Voltampere statt Watt, aber das führt zu weit).

 

    1. Die Festlegung der Leistungsgrenze von 600 W erfolgte durch den VDE.
      Im Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) werden die Regeln für das deutsche Stromnetz festgelegt, die nicht von Gesetzen geregelt werden können. Bei diesen Festlegungen, oder eben "Normen" können alle mitmachen, die ausreichende Fachkenntnis haben. Da die Arbeit an den Normen allerdings Zeit und mitunter Nerven kostet, sind die Mitarbeitenden oft von Industriunternehmen abgestellte Mitarbeiter, die natürlich auch eigene Ziele verfolgen. Aber auch Verbände, gemeinnützige Vereine und enthusiastische Einzelpersonen machen mit. Auch wir selbst arbeiten für das Balkonkraftwerk mit.
      Zu den Festlegungen gehören neben der Belastbarkeitsregeln für Stromleitungen und den Regeln für den Aufbau eines Haushaltsstromnetzes auch die Pflichten, welche für die Inbetriebnahme von PV-Anlagen unterschiedlicher Größen erfüllt werden müssen. Dazu gehört etwa auch die Leistungsrenze, bis zu der bei der Anmeldung auf Unterschrift durch einen Elektriker verzichtet werden darf. Diese Grenze wurde erstmals 2018 in einer Arbeitsrichtlinie für das Stromnetz (VDE AR-N-4105) bei 600 Watt gesetzt (eigentlich 600 VA aber das ist nicht so wichtig). In dieser Richtlinie sind auch noch viele andere Regeln enthalten, an die sich Hersteller, Elektriker, Netzbetreiber und alle anderen halten müssen, wenn es nicht zu Problemen im Netz kommen soll. Bei den 600 Watt hat man sich an Grenzwerten aus anderen Ländern orientiert. Für Deutschland wurden bei Festlegung des Wertes ursprünglich keine genauen Berechnungen angestellt. Zumindest sind keine bekannt. Später wurde in mehreren Studien, etwa des Photovoltaik-Instituts Berlin, nachgewiesen, dass eigentlich erst ab etwas über 700 Watt Probleme auftauchen können und dann auch nur, wenn diese Leistung dauerhaft (über mehrere Stunden) eingespeist wird und zugleich eben die volle Leistung über die Sicherung aus dem Netz gezogen wird und die Leitung ungünstig verlegt ist.

 

    1. Die Bundesregierung hat aber im Solarpaket einen eigenen Wert von 800 Watt für Balkonkraftwerke festgelegt.
      Diese neue Grenze für Balkonkraftwerke - oder "Steckersolargeräte", wie es im Gesetz heißt - hat mit europäischen Regeln zu tun. Im europäischen "Netzkodex" ist festgelegt, dass Geräte und Anlagen zur Stromerzeugung erst ab 800 Watt wichtig sind. Darunter gelten sie als "nicht signifikant". Bislang gab es dafür in Deutschland aber keine eigenen Regeln. Balkonkraftwerke wurden im Grunde wie größere PV-Anlagen behandelt und damit mit übertriebenen bürokratischen Auflagen belegt. Um das zu ändern, wurde mit dem Solarpaket nun neu festgelegt, was bis zu dieser Grenze vereinfacht werden kann. Wir hatten darüber bereits umfassend berichtet und diese Angleichung in der #PetitionBalkonSolar auch gefordert. Im April 2024 wurde auf dieser Basis auch das Marktstammdatenregister aktualisiert, also die Stelle, an der man das Balkonkraftwerk noch anmelden muss. Dabei wurden die 800 Watt auch dort festgelegt. Dadurch entsteht nun natürlich ein Widerspruch zu den 600 Watt aus der Arbeitsrichtlinie. Auch wenn es so aussieht, als würde die Arbeitsrichtlinie aktuell überarbeitet und irgendwann auf 800 Watt angepasst werden, und auch wenn die nun als Entwurf veröffentlichte Produktnorm die 800 Watt festlegen will (dort aber mit einer stärkeren Begrenzung der Modulleistung, damit eben nicht dauerhaft die Leitungs-Toleranz überschritten wird), ist es eben aktuell noch nicht soweit.

 

  1. Daher stellt sich den Nutzern natürlich die Frage: Was gilt denn jetzt?
    Die Frage stellt sich vor allem, weil man einerseits befürchtet, dass der Netzbetreiber - der die Anmeldedaten aus dem Marktstammdatenregister automatisch erhällt - den Anschluss von 800 Watt auf Basis der VDE-Arbeitsrichtlinie verwehren könnte und andererseits, dass bei irgendwelchen Problemen Versicherungen oder Vermieter und Wohnungseigentümergemeinschaften Probleme bereiten könnten. Die Frage stellt sich auch nicht nur für neue Nutzer. Viele haben sich bereits Wechselrichter mit der Möglichkeit gekauft, zwischen 600 und 800 Watt hoch- und runterzuregeln. Die stehen nun vor der Frage, wann sie endlich hochregeln und den Wert auch offiziell im Marktstammdatenregister ändern dürfen.

Unsere Antwort ist klar:
Du kannst ab sofort guten Gewissens auf 800 Watt gehen!

Die Normen wenden sich nämlich nicht an Nutzer sondern an Fachleute, also Elektriker und Netzbetreiber. Das Gesetz jedoch gilt für alle! Auch wenn im Gesetz die 800 Watt nur "unter Einhaltung der für die Ausführung eines Netzanschlusses maßgeblichen Regelungen" freigibt - womit tatsächlich die VDE-Richtlinien und Normen gemeint sind -, kann niemand erwarten, dass der Nutzer diese kennt. Diese Richtlinien sind nämlich nicht frei verfügbar sondern werden vom VDE für teures Geld verkauft und zudem in weiten Teilen so geschrieben, dass nur Fachleute sie verstehen.

Die Aufgabe, die widersprüchlichen Regelungen mit einander abzugleichen, liegt nicht beim Nutzer sonden beim VDE und der Bundesnetzagentur, welche das Marktstammdatenregister betreibt. Der VDE hat mit einer entsprechenden Klarstellung bereits angedeutet, dass auch hier die 800 Watt akzeptiert werden, auch wenn die Normen noch nicht aktualisiert sind. Wir schätzen zudem die Wahrscheinlichkeit, dass ein Netzbetreiber nach einer Aktualisierung der Daten auf einen Nutzer zukommt und wegen 200 Watt mehr Schwierigkeiten bereitet, als gegen null gehend ein. Die kommen nämlich meist so schon nicht mit der Bearbeitung der Meldungen hinterher. Im unwahrscheinlichen Fall, dass es dennoch dazu kommt, sollten die Anschreiben einfach entspannt abgeheftet werden. Falls der Netzbetreiber eskaliert, kann ja immernoch wieder runtergeregelt werden. Lieber wäre es uns aber, wenn du in diesem Fall auf uns zukommst, damit wir helfen können.

 

Dein Netzbetreiber macht Ärger und will sich nicht ans Gesetz halten? Schreib uns und wir sprechen mit ihm!


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